Eisschild-Ozean-Wechselwirkung - Die Zukunft des 79°N-Gletschers

Der Nioghalvfjerdsbræ oder 79°N-Gletscher (79NG) ist der mächtigste der marinen Auslassgletscher, die aus dem Nordostgrönländischen Eisstrom gespeist werden, und einer der wenigen mit einer ausgedehnten schwimmenden Gletscherzunge. Vor dem Hintergrund der beobachteten Dickenabnahme des 79NG und auch des benachbarten Zachariae Isstrøm (ZI) widmen wir uns der Frage, ob das gekoppelte System aus Eisschild, Schelfeis und Ozean auf einen Zerfall der schwimmenden Gletscherzungen in den kommenden Jahrzehnten zusteuert. Unser Ziel ist es, die Prozesse zu verstehen, die zu einem Zerfall dieser und anderer schwimmender Gletscherzungen (z.B. auch des Jakobshavn Isbræ) führen können. Darüber hinaus untersuchen wir den zukünftigen Beitrag des Nordostgrön- ländischen Eisstroms zum Anstieg des globalen Meeresspiegels. Hierzu werden wir realistische Modellsimulationen mit einem gekoppelten Ozean-Meereis-Schelfeis-Eisschildmodell durchführen, welches auf den Modellen FESOM und ISSM basiert.

Kontakte: Dr. Claudia Wekerle, Dr. Martin Rückamp, Prof. Dr. Angelika Humbert,
                Dr. Ralph Timmermann und Prof. Dr. Torsten Kanzow

Welches Hauptziel wurde in der ersten Projektphase verfolgt?

In der ersten Projektphase (2017-2020) haben wir in den zwei Teilprojekten TP2 (Basales Schmelzen & Ozeanzirkulation) und TP3 (Dynamik der Aufsetzlinie) an verschiedenen Fragestellungen rund um den 79°N-Gletscher gearbeitet. Unsere Ziele lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  1. In TP 2 war eines unserer Hauptziele, einen Zusammenhang zwischen der ozeanischen Zirkulation am Eingang der Kaverne des 79NG und den basalen Schmelzraten an der Unterseite des 79NG herzustellen. Dies ist insbesondere von Interesse, da basales Schmelzen unter der Gletscherzunge als ein wesentlicher Faktor für die Destabilisierung des Gletschers und des speisenden Eisstroms vermutet wird.
  2. Hauptziel von TP3 war es, die Wirkung der Gezeiten auf die Gletscherdynamik zu untersuchen. Mit dieser Fragestellung ist insbesondere auch die Variabilität des Eisflusses auf kurzen Zeitskalen verbunden und die Vulnerabilität des Gletschers gegenüber einem Rückzug der Aufsetzlinie.

Welche Methoden wendet ihr zur Beantwortung eurer Fragestellungen an?

Die Grundlage von TP2 bildeten Messdaten in Form von Zeitserien und flächendeckenden Kartierungen im Ozean sowie auf der Gletscherzunge des 79NG. So wurden etwa am Eingang der Kaverne des 79NG Instrumente für ozeanographische Langzeitmessungen und auf der Gletscherzunge selbst Radarstationen zur Bestimmung basaler Schmelzraten installiert.

In TP3 haben wir viskoelastische Modellsimulationen der Gletscher- und Schelfeisbewegungen aufgesetzt und analysiert. Zusätzlich wurden Feldbeobachtung in Form von GPS-Messungen benutzt, welche zur Validierung der Simulationen und des Modellkonzepts dienten.

Was waren die Hauptergebnisse?

  1. Die Analyse der Strömungs- und Temperaturzeitserien ermöglichte es uns, die räumliche Struktur der Zirkulation an der Kalbungsfront des 79NG zu beschreiben, die Stärke des warmen Einstroms und Ausstroms von Schmelzwasser zu bestimmen, und einen Einblick in die zeitliche Variabilität des ozeanischen Wärmetransportes unter die Gletscherzunge zu bekommen. Basierend auf den gewonnenen Zeitserien konnten wir nicht nur den Prozess der topographischen Kontrolle auf den ozeanischen Wärmetransport nachweisen, sondern auch zeigen, dass dieser ganzjährig einen Einfluss auf die Schmelzraten an der Unterseite des 79NG hat (Schaffer et al. 2020).
  2. Mit Hilfe von Zirkulations- und Schichtungsmessungen konnten wir Prozesse bestimmen, welche zeitliche Veränderungen im ozeanischen Wärmetransport unter die Gletscherzunge des 79NG bestimmen (von Albedyll et al., eingereicht bei JGR: Oceans).
  3. Die glaziologischen Messkampagnen ermöglichten es uns, die räumliche Variation sowie Variabilität von basalen Schmelzraten zu beschreiben. Die Messungen offenbarten extrem hohe Schmelzraten bis zu 145 Meter pro Jahr am Übergang vom gegründeten zum schwimmenden Teil der Gletscherzunge, sowie eine starke saisonale Variabilität (Zeising et al., eingereicht bei Nat. Comm.).
  4. Viskoelastische Simulationen und GPS Beobachtungen ermöglichten eine Analyse der Beiträge der verschiedenen Komponenten der Gletscherdynamik, wie das Gleiten, oder die elastische und viskose Deformation. Durch den Vergleich mit den GPS Messungen konnte bestimmt werden, dass die Rückwirkung der Gezeiten wesentlich geringer ist als an Eisströmen der Antarktis (Christmann et al. 2019; Christmann et al., eingereicht bei Nat. Comm.).

Welche Fragestellung wird nun in GROCE-2 bearbeitet?

Basierend auf den Ergebnissen aus den beiden Teilprojekten führen wir in GROCE-2 unsere Arbeiten in einem gemeinsamen Teilprojekt TP2 weiter, in welchem Glaziologen und Ozeanographen eng miteinander zusammen arbeiten. In GROCE-2 wollen wir die Ursachen für die hohen Schmelzraten an der Basis des 79NG bestimmen, und zwar sowohl mit Blick auf Prozesse im Ozean als auch direkt an der Schelfeisbasis. Wir werden den gegenwärtigen Zustand des Systems (Mittelwerte und zwischenjährliche sowie interdekadische Variabilität) dem Verhalten in von uns erstellten Projektionen für ein zukünftiges Klimaszenario gegenüberzustellen. Zur Beantwortung dieser Fragen werden wir das Ozean-Meereis-Schelfeis-Modell FESOM mit dem Eisschild-Modell ISSM koppeln.